FANTASTISCHE FAKTEN ZUR SPRACHE
 

Wie funktioniert Lesen eigentlich?

Okay, lesen kann ja fast jeder, dann kann das ja nicht so schwer sein. Ob schwer oder nicht, es ist auf jeden Fall ein sehr komplexer Vorgang. Nehmen wir uns einfach das Wort „Reihenfolge“. Dieses Wort haben Sie nicht als eine feste Reihenfolge von Buchstaben gelesen, also R-e-i-h-e-n-f-o-l-g-e, sondern Sie werden nur Teile davon gelesen und dann auf den richtigen Begriff geschlossen haben. Das spart Zeit und Arbeit und ist erstaunlich zuverlässig – ganz im Gegensatz zur automatischen Textergänzung in unseren Smartphones, beim Schreiben von SMS oder anderen Nachrichten.

Das stille Lesen

Nachdem grundsätzlichen Erkennen des Inhalts beginnt das „stille Lesen“, das Gehirn spricht das gefundene Wort lautlos. Warum? Das ist nicht so ganz klar, aber die Wissenschaft geht davon aus, dass zum Beispiel die Bedeutung eines Wortes nur phonetisch transportiert wird und nicht als Zeichenfolge. Die Zeichenfolge K-u-h wird erst dann in unserem Gehirn zum Bild von einer Kuh, wenn wir das Wort im Geist gehört haben.

Wer ist der Held?

Wenn wir Sätze lesen, werden erst alle Wörter einzeln erkannt und dann wird der Zusammenhang zwischen ihnen hergestellt. Das bedeutet, zu erkennen, wer der Held des Satzes – also das Subjekt – ist und in welchem zeitlichen Zusammenhang wir denken müssen. Erst zum Schluss wird die wichtigste Frage beantwortet: Was steht in dem Satz? Wer Kinder hat, die gerade lesen lernen, kann beobachten, wie erst Buchstabe für Buchstabe erkannt, dann das Wort laut gelesen und schließlich die Bedeutung erkannt wird.

Das WWW liest in F-Form

Menschen, die sehr viele Texte im Web lesen, lesen anders. Wie Untersuchungen zeigen, scannen sie Texte eher, oder anders gesagt, sie springen von Schlüsselbegriff zu Schlüsselbegriff. Dabei verändert sich der Lesefluss und führt nicht mehr von oben links nach unten rechts, sondern der „Scanvorgang“ verläuft in F-Form.

Eine Warnung …

Das Springen über den Text verändert nach der US-amerikanischen Neurowissenschaftlerin Maryanne Wolf vom Center for Reading and Language Research an der Tufts University auch die Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung der Informationen: „Meine größte Sorge ist, dass viele neue und auch einige ältere Leser angesichts der digitalen Fülle an unmittelbaren Informationen, die immer weniger intellektuelle Anstrengung erfordern und enthalten, weder die Zeit noch die Motivation haben, die möglichen Bedeutungen von dem, was sie lesen, zu durchdenken“.

Zwei Minuten für diesen Text?

Sehr gut geübte Leser sind in der Lage „querzulesen“. Sie fixieren nicht einzelne Buchstaben, sondern ganze Wortgruppen mit einem Blick. Aber schon durchschnittlich geübte Leser können bis zu 200 Wörter pro Minute lesen. Dieser Text hat übrigens ganz genau 417 Wörter …Okay, lesen kann ja fast jeder, dann kann das ja nicht so schwer sein. Von wegen …

G3HT D45?

Dass wir Worte, wie oben erwähnt, nicht Buchstabe für Buchstabe lesen, lässt sich gut an diesem „Klassiker“ aus dem Internet zeigen. Der unten stehende Text, der scheinbar aus einem Buchstabensalat besteht, wird immer mal wieder zitiert und findet sich entsprechend auch auf vielen Websites. Das macht ihn aber nicht weniger spannend. Die Grundlage dafür bildet die Studie „Die Bedeutung der Buchstabenposition in der Worterkennung“ von Graham Rawlinson, die er 1976 als Dissertation an der Universität von Nottingham veröffentlicht hat.


Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät, ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wort snid, das ezniige was wcthiig ist, ist, dsas der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien. Tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems. Ehct ksras!

Lesen verändert das Gehirn physisch!

Dass Lesen das Gehirn und seine Fähigkeiten verändert, ist unstrittig. Aber was genau passiert, ist unklar. So ist es zum Beispiel so, dass Analphabeten nicht nur nicht lesen können, sondern auch Schwierigkeiten haben, Bildinhalte zu erkennen.

Das Hammer-Beispiel

Eine Studie spanischer und französischer Forscher nennt als Beispiel ein Bild eines Hammers, bei dem es Analphabeten schwerer fällt, zu erkennen, in welche Richtung der Stiel des Hammers zeigt. Um zu lesen, muss das Gehirn einige visuelle, aber auch phonologische Fähigkeiten besitzen und benutzen. Dazu kommen das Langzeitgedächtnis und das Arbeitsgedächtnis.

Klarheit durch Kernspintomographie

Bei Menschen, die viel lesen – sei es bei der Arbeit oder in der Freizeit –, verändert sich Forschern des Max-Planck-Instituts in Leipzig zufolge, das Gehirn tatsächlich physiologisch. Den Nachweis führten sie mit dem Einsatz der Kernspintomographie. Betroffen von den Veränderungen sind altersabhängig die Großhirnrinde und die Verbindung zwischen Sehrinde und Thalamus. Der Thalamus ist übrigens die Instanz, die entscheidet, ob eine Information relevant ist oder nicht.

Erst zur Bibliothek und dann zur Bank …

Männer, die regelmäßig Bücher lesen, verdienen im Vergleich durchschnittlich 21 Prozent mehr. Das ist zumindest das Ergebnis einer Forschergruppe der Universität Padua.


Die dort erstellte Studie „Books are forever“ basiert auf der Befragung von rund 6.000 Männern in neun europäischen Ländern. Sie wurden nach ihrem Einkommen und nach der Anzahl der Bücher befragt, die sie im Kindesalter gelesen hatten. An der Anzahl der Bücher lässt sich aber nicht nur das zu erwartende Einkommen abschätzen, sondern vielmehr erkennen, „inwiefern einem Kind schon früh die Möglichkeit gegeben wurde, kognitive und sozio-emotionale Fähigkeiten auf- und auszubauen“.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte?

Okay. Versuchen Sie die Headline in einem Bild auszudrücken! Der Erste, der nachweislich behauptet hat, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, war Fred R. Barnard in einer Fachzeitschrift für Druck und Werbung im Jahr 1921. In seiner Anzeige, die die Vorteile von Bildmotiven bei Werbeaufdrucken auf Straßenbahnen pries, hieß es: „One Look is Worth A Thousand Words“. Eine Ausgabe später wurde er noch ein bisschen präziser, denn dort hieß es in der Headline: „One Picture is Worth Ten Thousand Words“. Dazu stand, dass es sich dabei um eine chinesische Weisheit handele. In Wirklichkeit war das „Quatsch mit Soße“ und schlichtweg ausgedacht. Barnard wollte damit den Wirkungsgehalt seiner Anzeige noch einmal steigern. Das war bei dieser griffigen Headline sicher nicht nötig …